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Gastland Bundesrepublik Deutschland
Gastland Bundesrepublik Deutschland, 1983-84 © Hildegard Ochse

Zoologische Ansichten von Sabine Wild und Hildegard Ochse
Kuratiert von Benjamin Ochse
Eine Fotoausstellung im Tempelhof Museum
Vom 27. März bis 16. August 2020

Please find the English medie release below

Unter dem Titel »WILD & OCHSE – Zoologische Ansichten« zeigt die Ausstellung divergente Ansichten aus europäischen und asiatischen Zoos der Autorenfotografinnen Sabine Wild (*1962) mit ihren Serien »Territorien« und Hildegard Ochse (1935–1997) unter dem Titel »Gastland Bundesrepublik Deutschland«.

Hildegard Ochses Bilder zeigen rosarote Flamingos in feinen Grauabstufungen, die Vögel stehen in einem mit etwas Wasser gefüllten Rondell mit einem Baum in dessen Zentrum, wie auf einem Dorfplatz versammelt und suchen nach Futter in drei aufgestellten Futterkisten aus Kunststoff. In einem Primatenhaus schaut der Betrachter auf einen großen Gorilla hinter dicken Glasscheiben. Die Wände in seinem Lebensraum sind mit kleinen bunten quadratischen Fliesen ausgeschmückt, die an den Blätterwald eines Dschungels erinnern und dem Tier ein urwäldliches Heimatgefühl vermitteln soll. Für seine täglichen Bewegungsübungen stehen dem Tier eine große Sitzschaukel und einige Kletterstangen aus Edelstahl zur Verfügung, an denen er sich strecken und entlang hangeln kann. Von dem Tier selbst sieht der Betrachter in Hildegard Ochses Fotos nicht mehr als sein langes zottelige Fell in der Mitte des Raumes. Der große alte Gorilla kommuniziert nicht mit dem Zoobesucher, schaut ihn nicht an, zeigt ihm den Rücken und beschäftigt sich mit sich selbst. Im Berliner Zoo laufen im Freigehege zwei Eisbären auf einen künstlich angelegten Felsen umher, umrundet von einem tiefen Wassergraben, der mit einer hohen Betonmauer eingefasst ist, in dem sie baden können. Im Hintergrund sieht der Betrachter Teile der Westberliner Skyline mit einem Hochhaus und die zerstörte Turmspitze der Gedächtniskirche, die hinter dem Eisbärenfelsen wie ein abgebrochener Zahn hervorschaut. Die Bären machen auf dem Bild den Eindruck, als würden sie nach einem Ausweg suchen, den es aber für sie nicht gibt. In einem Affenfreiluftgehege sitzen kleine Kreaturen in einer modernen Waschbeton-Architektur, mit Treppen, Stufen, höhlenartigen Betonwürfeln und einem an einer Achse aufgehängtem Rhönrad, ein Sportgerät, das aus zwei durch Sprossen miteinander verbundenen Reifen besteht und welches die Affen zum Turnen animieren soll. Zwei kleine Primaten sitzen in einer Betonröhre und lausen sich gegenseitig. Die Anlage erinnert an den Rohbau eines Atombunkers aus den frühen 70er-Jahren.

Gastland Bundesrepublik Deutschland, Hildegard Ochse 1984
Gastland Bundesrepublik Deutschland, 1984 © Hildegard Ochse

Europäische Zoos erscheinen in Ochses Fotos immer wieder als eine Spielwiese für Architekten, auf der sie größeren gestalterischen Freiraum genießen als bei Bauten für den Homo sapiens. In den Gebäuden, Stallungen und Gehegen werden die Tiere in einzelnen Boxen mit der obligatorisch dazugehörenden Ausstellungsbeschriftung nebeneinander aufbewahrt wie in einer Schmetterlingssammlung aus exotischen Ländern. Hildegard Ochses Fotografien aus den zoologischen Gärten zeigen nichts geschönt, verniedlicht oder vermenschlicht. Hildegard Ochse ging es bei ihrer Arbeit um eine politische und zugleich philosophische Aussage, nicht um dekorative verharmlosende Tierfotos für Biologen, Zoologen und Tourismuswerbung. Es ent­standen über Jahre hinweg Hunderte unterschiedliche Bilder von Kreaturen in deren Käfigen, Gehegen und Vitrinen der europäischen Zoo-Architektur.

Gastland Bundesrepublik Deutschland
Gastland Bundesrepublik Deutschland, 1983 © Hildegard Ochse

Die Besucher und Betrachter der Zootiere ließ die Fotografin bewusst in ihren Bildern aus, da durch ihre Anwesenheit ein anderer Eindruck entsteht. Sie fotografierte die Kreaturen wie seelenlose Ausstellungsstücke mit Akribie, hinter Glasscheiben, Gittern, Zäunen, schweren Absperrungen oder Wassergräben. Wo die Tiere ähnlich wie in einem Hochsicherheitsgefängnis gehalten werden. Die Zoo-Architektur in ihren Bildern verrät mehr über die Psyche der Erbauer, als über die Tiere aus fremden Ländern selbst. Die modernen Zoos scheinen heute nur noch als eine Treuhandanstalt für die Schöpfung und dem Konsum ihrer Besucher zu dienen.
Benjamin Ochse

Territorien – Wildnis in Käfigen. Sabine Wild, 2019
Territorien – Wildnis in Käfigen, 2019 © Sabine Wild

Die Fotografin Sabine Wild nähert sich dem Thema in digtal und in Farbe:
Die Auseinandersetzung mit unserem Verhältnis zu Tieren ist en vogue: Sich vegan zu ernähren aus Tierschutzgründen gewinnt immer mehr Anhänger. Gerichte haben in Indien und Florida z. B. Delphine als ›nicht menschliche Personen‹ anerkannt; ihre Käfighaltung ist somit untersagt. Und seit Jahren wird über die die Berechtigung von Zoos und die optimale Wildtierhaltung diskutiert. Namhafte Architekten setzen sich nach neuesten Erkenntnissen mit adäquater Käfigarchitektur auseinander, wie z. B. Norman Foster, der das Elefantenhaus im Kopenhagener Zoo gebaut hat. Ist es in diesem Kontext überhaupt statthaft, sich als Fotografin aus einem rein ästhetisch begründeten Interesse dem Thema der Käfigarchitektur zu nähern und diese ganzen Debatten außer Acht zu lassen?

In meiner Serie »Territorien« geht es um die Auseinandersetzung mit der Darstellung von Wildnis durch Kultur in Form architektonischer Strukturen, Ordnung und Zähmung. Ich löse sie aber aus ihrem Kontext – entweder mittels der Reduktion auf ihre grafischen Elemente oder mittels der visuellen Verweigerung ihrer Verortung. Mich reizt es, dem Betrachter die Orientierung bei der Betrachtung dieser Räume zu nehmen und ihm die Informationen über die eigentliche Funktion dieser Räume vorzuenthalten, indem ich Käfige meist ohne die dort lebenden Tiere zeige.

Territorien – Wildnis in Käfigen
Territorien – Wildnis in Käfigen, 2019 © Sabine Wild

Raubtierkäfige aus den 70er Jahren, häufig alle baugleich errichtet, fotografiere ich wie ein durchdekliniertes strenges Raster, das durch sich minimal unterscheidende Requisiten wie Säcke, zerfetzte Seile, abgekaute Baumstümpfe und Palmwedel aufgelöst wird. Diese sollen auf Wildnis verweisen. Die variierenden pastellfarbigen Fliesenmuster im Hintergrund wirken dabei wie ein Versuch, von ihrem meist sterilen Charakter abzulenken.

Die Fotografien von den Käfigen in Chengdu spielen mit Illusionen einer Naturkulisse, wie sie auch in Dioramen entstehen. Der nahtlose Übergang von realer Vegetation zu gemalter Landschaft täuscht räumliche Tiefe und Wirklichkeitsnähe vor – bis es dem Betrachter schwerfällt, den Übergang zwischen Realität und Abbildung zu erkennen. Innen und Außen ist nicht immer zu unterscheiden, die Bestimmung dieser Räume ist kaum zu erahnen. Manche Käfige, düster und mit Metalltüren verschlossen, erinnern kaum an Lebensräume für Affen.
Sabine Wild

Weiterführende Webseiten:
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Haus am Kleistpark